CPE Bach GER Michael B. Weiß

FEB-2014

CD Carl Philipp Emanuel Bach

 

Der Prüfstein für jeden Interpreten der Musik Carl Philipp Emanuel Bachs ist, ob er die der Musik eingeschriebene emotionale und geistige Erfülltheit nacherleben und damit dem Hörer mitteilen kann. Die Epoche des zweitältesten Sohnes Johann Sebastian Bachs nannte diese ästhetische Einstellung der Musik 'Empfindsamkeit', kannte aber auch deren Verfallsform, die 'Empfindelei'. Von solchen Übertreibungen sind Albrecht Breuninger und Piet Kuijken weit entfernt; auf dieser Kompilation von drei der insgesamt vier Violinsonaten mit obligater Klavierbegleitung aus dem Jahr 1763 (H 511–514, Wq 75–78) verwirklichen sie den Gestus der Empfindsamkeit in seiner ganzen Tiefe.

Dass sich tatsächlich die Aura dieser Musik einstellt, liegt daran, dass der Violinist Breuninger und der Pianofortist Kuijken (der Sohn des Gambisten Wieland Kuijken, dem älteren Bruder Sigiswalds), mit ihrem Spiel mehr nach Innen wirken als an die Oberfläche zu drängen. Die beiden Musiker hatten zum Zeitpunkt der Aufnahme (eine Produktion des SWR von 2006) verinnerlicht, dass diese Musik keine Brillanz sucht und auch nicht dadurch gewinnt, wenn sie durch die in der Alte-Musik-Szene allgegenwärtige Virtuosität der Improvisation aufgehübscht wird. Denn die Sonaten gehören nicht mehr dem Typus der barocken Continuo-Sonate an, in welcher die rechte Hand den Generalbaß ausführt, vielmehr ist das Klavier auf kompositorisch sehr bewußte Weise an der Motivik beteiligt. Es trägt zum hohen Wert dieser Interpretationen bei, dass Piet Kuijken am Hammerflügel der Versuchung widersteht, mehr zu machen, als notiert ist, ja, er macht sogar manchmal weniger als in den Noten steht und erreicht damit einen deutlicheren Kontrast zwischen instrumentalem Gesang und Begleitung.

Dem entspricht auf der anderen Seite, dass der Geiger Albrecht Breuninger das Spiel nicht dominiert, sondern sich darauf konzentriert, eine Vielfalt von Spielweisen zu entwickeln, etwa ein seidiges Spiel der tiefen Lage, saftige Akkorde, ein mysteriöses Raunen im 'Poco andante' der Sonate h-Moll Wq 76 oder, wie etwa im 'Largo' der Sonate B-Dur Wq 77, ein süßes Belcanto. Man höre auch die späten Arioso-Variationen Wq 79, deren Thema so vertraut klingt; beide Instrumente verschmelzen zu einem organischen Gesamtklang, was der Musik vollkommen angemessen ist: Die Violine ist hier eben, wie auch bei Haydn und noch beim frühen Beethoven, nicht das alleinige virtuose Soloinstrument, sondern ein gleichberechtigter Kammermusikpartner.

Die Hingabe an die viel zitierte 'Empfindsamkeit' bedeutet für Breuninger und Kuijken nicht, dass manieriert gespielt wird, sondern vielmehr dass die Affekte der einzelnen Sätze prägnant herausgestellt werden. So begegnet man in der Sonate B-Dur einem furiosen Kopfsatz, dessen überschäumender, manchmal geradezu mozartisch wirkender Gestus wirklich mitreißt, ebenso wie das rasante Finale der Sonate c-Moll Wq 78 nach einem wahrlich versunkenen 'Adagio' den Hörer fast aus der Kurve trägt und beide Musiker in großer agogischer Flexibilität zeigt. Hier kann erfahren werden, warum der berühmteste der Bach-Söhne für seine Zeitgenossen die beherrschende Figur war.

 

Michael B. Weiß